Tatsächlich werden viele Frauen im Beruf übersehen – nicht, weil sie zu wenig leisten, sondern weil alte Rollenbilder, Care-Arbeit und Mental Load leise an ihrer Sichtbarkeit nagen.
Warum wir gelernt haben, uns klein zu machen – und was uns das kostet
Ich erinnere mich an ein Foto aus meiner Kindheit. Ich trage ein rosa Kleid mit weisser Schleife, stehe aufrecht da, die Hände ordentlich gefaltet. Das Kleid war eigentlich kratzig, aber meine Mutter fand, es „gehöre sich so“. Ich lächle brav in die Kamera – und sehe aus wie jemand, der früh verstanden hat, dass es besser ist, zu gefallen als zu fühlen.
Vielleicht beginnt dort, was viele von uns so gut können: sich anpassen. Wir lernen früh, dass Nettsein sicherer ist als Nein-Sagen, dass man lieber bestätigt wird als irritiert. Und dass man gemocht wird, wenn man leise bleibt.
Diese Lektionen sind unsichtbar, aber mächtig. Sie wandern mit uns durch die Schulzeit, durch Beziehungen, durch den Beruf. Sie sitzen mit am Konferenztisch, wenn wir den Mund nicht aufmachen, obwohl wir es könnten. Und sie flüstern, ganz leise: „Pass auf, dass du nicht zu viel wirst.“

Warum so viele Frauen im Beruf übersehen werden
Viele Frauen, mit denen ich arbeite, tragen genau dieses Erbe der Vorsicht in sich. Sie sind kompetent, loyal, klug – und gleichzeitig erschöpft.
Sarah zum Beispiel. 38 Jahre alt, zwei Kinder, acht Jahre im selben Unternehmen. Sie führt ihr Team souverän, hält vieles zusammen, was ohne sie auseinanderfallen würde. Doch wenn es um Beförderungen geht, fällt ihr Name nicht.
„Ich will einfach, dass sie sehen, was ich leiste“, sagt sie.
Aber gute Arbeit allein reicht selten.
Laut Eurostat (2023) verdienen Frauen in der EU im Schnitt 12 Prozent weniger als Männer – bei gleicher Qualifikation. Diese Zahl steht nicht nur für Geld, sondern für all die verpassten Momente, in denen Frauen sich zurücknehmen, obwohl sie längst bereit wären.
Eine Studie der University of Colorado zeigt: Männer bewerben sich auf Positionen, wenn sie 60 Prozent der Anforderungen erfüllen. Frauen warten, bis sie hundert Prozent abhaken können. Es ist kein Mangel an Mut – es ist eine Gewohnheit. Erst perfekt, dann sichtbar.
Doch diese Zurückhaltung hat ihren Preis. Nicht nur auf dem Konto, sondern in der Energie, die wir verlieren, wenn wir immer wieder beweisen wollen, dass wir genügen.
Care-Arbeit – die unsichtbare Schicht hinter dem Erfolg
Diese Erschöpfung beginnt oft dort, wo Arbeit gar nicht so heisst: im Alltag, zu Hause, in der unsichtbaren Schicht der Organisation.
Elena, 41, arbeitet in der Tech-Branche. Ihr Mann „hilft viel“, sagt sie. Und sie meint das liebevoll. Aber während er hilft, bleibt sie diejenige, die denkt, erinnert, organisiert. Sie weiss, wann die Turnschuhe zu klein werden, wann die nächste Impfung ansteht, wer was zum Geburtstag bekommt.

Diese permanente Verantwortung hat einen Namen: Care-Arbeit. Laut OECD (2023) übernehmen Frauen selbst in Partnerschaften, in denen beide Vollzeit arbeiten, rund 60 bis 80 Prozent davon. Das sind im Schnitt 27 Stunden pro Woche – ein halber Job, unbezahlt, aber mit Folgen.
Forscher der University of Bath haben gezeigt, dass diese mentale Dauerpräsenz, der sogenannte Mental Load, die kognitive Leistungsfähigkeit um etwa 30 Prozent verringert.
Wer ständig für andere mitdenkt, hat weniger Raum, um sichtbar zu sein.
Das Tragische ist: Die Welt hält das für selbstverständlich. Und wir selbst oft auch. Dieser Bereich wird bei Frauen im Beruf übersehen.
→ Lies hier weiter über Mental Load und weibliche Erschöpfung
Wenn der Körper Nein sagt – Burnout bei Frauen
Manchmal sagt der Körper Nein, bevor der Kopf versteht, was los ist.
Nadja, 45, war Vice President in einer Bank. Erfolgreich, beliebt, loyal – bis nichts mehr ging.
Burnout. Ein Jahr Auszeit, dann ein Neustart – aber mit 45 Prozent weniger Gehalt. Über ihre Karriere gerechnet verlor sie rund 1,8 Millionen Euro. Nicht, weil sie zu wenig konnte. Sondern, weil sie zu lange versuchte, alles richtig zu machen.
Eine Studien zeigen: Frauen haben ein 1,5-fach höheres Risiko für Burnout als Männer.
Nicht, weil sie schwächer sind – sondern, weil sie länger funktionieren, bevor sie zusammenbrechen.
Wir nennen es oft „Belastbarkeit“. Aber was, wenn das, was wir als Stärke feiern, in Wahrheit Selbstvergessenheit ist? Und so wir Frauen im Beruf übersehen werden?
Der Körper als Zeuge unserer Erziehung
Uns wird nicht nur beigebracht, brav zu sein – unsere Körper haben gelernt, das mitzuspielen.
Schultern, die sich leicht nach vorne neigen. Eine Stimme, die sich hebt, wenn es ernst wird. Ein Lächeln, das bleibt, auch wenn wir wütend sind.
Die Neurowissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett beschreibt, dass unser Gehirn auf alte Erfahrungen zurückgreift, um vorherzusagen, was sicher ist. Wenn du gelernt hast, dass Auffallen gefährlich ist, reagiert dein Nervensystem auf Sichtbarkeit wie auf Gefahr.
Darum fühlt sich Selbstbehauptung für viele Frauen körperlich falsch an. Es ist kein Zeichen von Schwäche – sondern ein Beweis dafür, wie tief Anpassung in uns verankert ist.
In Podcastfolge 7 – „Zu still für Erfolg – Das Rosa-Kleid-Syndrom“ spreche ich darüber, wie sich diese Muster lösen lassen – nicht im Kopf, sondern im Körper. Wie du Präsenz wieder lernst, nicht als Haltung, sondern als Heimat.
🎧 Hier anhören →

Wenn Frauen sichtbar werden – Präsenz als neue Währung
Sichtbarkeit verändert Machtverhältnisse – und Machtverhältnisse mögen keine Veränderung.
Ich erinnere mich an Lisa, 35, Marketing, Mutter einer Tochter. Jahrelang hatte sie gewartet, gehofft, dass man sie erkennt. Bis sie eines Tages im Meeting sagte: „Ich will dieses Projekt leiten.“
Kurze Stille. Ein Kollege murmelte: „Mutig.“
Sie antwortete: „Nein. Überfällig.“
Zwei Jahre später leitet sie ein Team, verdient mehr und teilt sich die Care-Arbeit mit ihrem Partner. „Ich dachte immer, Sichtbarkeit sei laut“, sagte sie. „Jetzt weiss ich: Sie ist einfach ehrlich.“
Diese Ehrlichkeit verändert alles. Sie macht sichtbar, wie viele Frauen gelernt haben, sich klein zu machen, um dazuzugehören.
→ Lies hier, wie du im Job Grenzen setzt, ohne dich zu verbiegen.
Das System, das von weiblicher Stille profitiert
Das World Economic Forum (2024) schätzt, dass wirtschaftliche Gleichstellung noch 134 Jahre entfernt ist. Eine Zahl, die absurd klingt – bis man versteht, wie tief die alten Muster sitzen.
Unternehmen profitieren von loyalen Mitarbeiterinnen, die selten verhandeln.
Familien von Frauen, die den mentalen Rest tragen.
Gesellschaften von Fürsorge, die nichts kostet.
Die Ökonomin Nancy Fraser nennt das Frauen im Beruf übersehen werden, den „verborgenen Motor des Kapitalismus“ – unbezahlte weibliche Arbeit, die alles am Laufen hält.
Solange Frauen brav und effizient bleiben, funktioniert das System reibungslos.
Aber vielleicht muss es gar nicht mehr reibungslos funktionieren.
Vielleicht beginnt Veränderung genau dort, wo etwas zu knirschen anfängt – wo Frauen nicht mehr lächeln, wenn sie müde sind.
Das rosa Kleid – ein Symbol für Generationen
Meine Tochter ist 25. Sie hat kein rosa Kleid im Schrank, aber sie kennt die Codes.
Sie weiss, dass „Teamplayerin“ manchmal heisst: die, die alles auffängt.
Aber sie fragt nach, sie widerspricht, sie geht, wenn Strukturen absurd sind.
Manchmal sehe ich sie an und denke: Sie hat den Mut, den ich in meinem rosa Kleid noch nicht hatte.
Und ich hoffe, dass sie ihn behält – auch wenn die Welt versucht, ihn ihr auszureden.
Vielleicht liegt genau darin unsere Aufgabe: nicht, alles zu reparieren, sondern zu unterbrechen, was uns klein hält.
👉🏻 Fazit: Präsenz ist kein Luxus
Wir haben gelernt, brav zu sein, um gemocht zu werden.
Effizient zu sein, um gebraucht zu werden.
Aber kaum jemand hat uns beigebracht, sichtbar zu sein, um ernst genommen zu werden.
Übersehen zu werden, ist kein Schicksal.
Es ist ein Muster – und Muster lassen sich verändern.
Vielleicht heisst sichtbar werden, das alte rosa Kleid ein letztes Mal anzusehen – und es dann einfach auszuziehen.
Nicht aus Trotz.
Sondern, weil du es nicht mehr brauchst.
Am Ende geht es nicht darum, lauter zu werden – sondern darum, sichtbar zu sein. Frauen im Beruf übersehen? Das muss nicht dein Narrativ bleiben.
🎧 Podcast: Zu still für Erfolg – Das Rosa-Kleid-Syndrom
Warum Frauen gelernt haben, sich klein zu machen – und wie du deine Stimme zurückholst.
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🎧 Podcast-Folge 7 – Zu still für Erfolg


